Am 9. Januar 2003 erhob Mexiko Klage gegen die Vereinigten Staaten von Amerika in einem Rechtsstreit über angebliche Verletzungen der Artikel 5 und 36 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 in Bezug auf 54 mexikanische Staatsangehörige, die in bestimmten Bundesstaaten der Vereinigten Staaten zum Tode verurteilt worden waren. Gleichzeitig mit seinem Antrag beantragte Mexiko die Anordnung einstweiliger Maßnahmen, u.a. damit die Vereinigten Staaten alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass kein mexikanischer Staatsangehöriger hingerichtet wird und keine Maßnahmen ergriffen werden, die die Rechte Mexikos oder seiner Staatsangehörigen im Hinblick auf eine Entscheidung des Gerichtshofs in der Sache beeinträchtigen könnten. Nach Anhörung der Parteien im Rahmen einer öffentlichen Anhörung zu den vorläufigen Maßnahmen am 21. Januar 2003 erließ der Gerichtshof am 5. Februar 2003 eine Anordnung, mit der er beschloss, dass die

„Vereinigten Staaten von Amerika alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Herr Cesar Roberto Fierro Reyna, Herr Roberto Moreno Ramos und Herr Osvaldo Torres Aguilero nicht hingerichtet werden. Osvaldo Torres Aguilera bis zum endgültigen Urteil in diesem Verfahren nicht hingerichtet werden“,

dass die „Vereinigten Staaten von Amerika den Gerichtshof über alle zur Durchführung dieser Anordnung getroffenen Maßnahmen unterrichten“ und dass der Gerichtshof bis zum Erlass seines endgültigen Urteils mit den Angelegenheiten befasst bleibt, die Gegenstand dieser Anordnung sind. Am selben Tag erließ er einen weiteren Beschluss, in dem er den 6. Juni 2003 als Frist für die Einreichung des Memorials durch Mexiko und den 6. Oktober 2003 als Frist für die Einreichung des Counter-Memorials durch die Vereinigten Staaten von Amerika festlegte. Der Präsident des Gerichtshofes hat diese Fristen später auf den 20. Juni 2003 bzw. den 3. November 2003 verlängert. Diese Schriftsätze wurden innerhalb der so verlängerten Fristen eingereicht.

Nach einer öffentlichen Anhörung im Dezember 2004 verkündete der Gerichtshof sein Urteil am 31. März 2004. Mexiko hatte seine Anträge während der schriftlichen Phase des Verfahrens und erneut in der mündlichen Verhandlung geändert, so dass der Gerichtshof letztlich über die Fälle von 52 (statt 54) mexikanischen Staatsangehörigen entschied.

Der Gerichtshof prüfte zunächst vier Einsprüche der Vereinigten Staaten gegen seine Zuständigkeit und fünf Einsprüche gegen die Zulässigkeit. Mexiko hatte argumentiert, dass alle diese Einsprüche unzulässig seien, weil sie außerhalb der von der Gerichtsordnung vorgeschriebenen Frist eingereicht worden waren, aber der Gerichtshof ließ dies nicht gelten. Der Gerichtshof wies daraufhin die Einwände der Vereinigten Staaten zurück, behielt sich jedoch die Prüfung einiger dieser Einwände in der Hauptsache vor.

In der Hauptsache prüfte der Gerichtshof zunächst, ob die 52 betroffenen Personen ausschließlich die mexikanische Staatsangehörigkeit besaßen. Da die Vereinigten Staaten nicht nachgewiesen hatten, dass einige von ihnen auch Staatsangehörige der Vereinigten Staaten waren, stellte der Gerichtshof fest, dass die Vereinigten Staaten verpflichtet waren, in Bezug auf alle 52 mexikanischen Staatsangehörigen konsularische Auskünfte nach Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe b des Wiener Übereinkommens zu erteilen. Im Hinblick auf die Bedeutung der Formulierung „unverzüglich“ in Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe b) stellte der Gerichtshof ferner fest, dass eine Verpflichtung zur konsularischen Information besteht, sobald festgestellt wird, dass es sich bei der festgenommenen Person um einen Ausländer handelt oder Grund zu der Annahme besteht, dass sie wahrscheinlich ein Ausländer ist. Der Gerichtshof stellte fest, dass die Vereinigten Staaten in allen Fällen mit einer Ausnahme gegen ihre Verpflichtung zur Erteilung der erforderlichen konsularischen Auskünfte verstoßen haben. In Anbetracht des Zusammenhangs zwischen den drei Buchstaben a, b und c von Artikel 36 Absatz 1 des Wiener Übereinkommens stellte der Gerichtshof sodann fest, dass die Vereinigten Staaten in 49 Fällen auch gegen die Verpflichtung verstoßen haben, den mexikanischen Konsularbeamten die Kommunikation mit ihren Staatsangehörigen, den Zugang zu ihnen und den Besuch ihrer Staatsangehörigen zu ermöglichen und in 34 Fällen für ihre rechtliche Vertretung zu sorgen.

In Bezug auf die Argumente Mexikos zu Artikel 36 Absatz 2 und dem Recht seiner Staatsangehörigen auf wirksame Überprüfung und Wiedererwägung von Verurteilungen und Urteilen, die durch eine Verletzung von Artikel 36 Absatz 1 beeinträchtigt werden, stellte der Gerichtshof fest, dass die Vereinigten Staaten in drei Fällen gegen Artikel 36 Absatz 2 verstoßen haben, da sie es versäumt haben, die verfahrensrechtliche Versäumnisregel seit der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache LaGrand zu revidieren, obwohl die Möglichkeit einer gerichtlichen Wiedererwägung in den 49 anderen Fällen noch offen ist.

In Bezug auf die Rechtsfolgen der nachgewiesenen Verstöße gegen Artikel 36 und auf die Anträge Mexikos auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch teilweise oder vollständige Aufhebung der Verurteilungen und Urteile wies der Gerichtshof darauf hin, dass das Völkerrecht eine Wiedergutmachung in angemessener Form verlange, was in diesem Fall die Überprüfung und erneute Prüfung der Verurteilungen und Urteile der mexikanischen Staatsangehörigen durch die Gerichte der Vereinigten Staaten bedeute. Der Gerichtshof vertrat die Auffassung, dass die Wahl der Mittel für die Überprüfung und Neubeurteilung den Vereinigten Staaten überlassen bleiben sollte, dass sie aber unter Berücksichtigung der Verletzung der Rechte nach dem Wiener Übereinkommen erfolgen müsse. Der Gerichtshof erinnerte daran, dass die Überprüfung und erneute Prüfung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens erfolgen sollte, und stellte fest, dass das Gnadenverfahren der Exekutive allein nicht ausreicht, um diesen Zweck zu erfüllen, obwohl geeignete Gnadenverfahren die gerichtliche Überprüfung und erneute Prüfung ergänzen könnten. Entgegen den Behauptungen Mexikos fand der Gerichtshof keine Beweise für eine regelmäßige und anhaltende Verletzung von Artikel 36 durch die Vereinigten Staaten. Der Gerichtshof erkannte außerdem die Bemühungen der Vereinigten Staaten an, die Einhaltung des Wiener Übereinkommens zu fördern, und vertrat die Auffassung, dass diese Verpflichtung eine ausreichende Garantie und Zusicherung der von Mexiko geforderten Nichtwiederholung darstellt.

Der Gerichtshof stellte ferner fest, dass der vorliegende Fall zwar nur mexikanische Staatsangehörige betreffe, dies aber nicht so verstanden werden dürfe, dass seine Schlussfolgerungen nicht auch für andere ausländische Staatsangehörige gelten, die sich in den Vereinigten Staaten in einer ähnlichen Situation befinden. Schließlich erinnerte der Gerichtshof daran, dass die Vereinigten Staaten im Fall der drei betroffenen mexikanischen Staatsangehörigen durch den Erlass vom 5. Februar 2003, der vorläufige Maßnahmen anordnete, gegen die Absätze 1 und 2 des Artikels 36 verstoßen hatten und dass in diesen Fällen keine Überprüfung und Wiedererwägung der Verurteilung und des Urteils vorgenommen worden war. Der Gerichtshof vertrat die Auffassung, dass es daher Sache der Vereinigten Staaten sei, einen geeigneten Rechtsbehelf mit dem Charakter einer Überprüfung und Wiedererwägung gemäß den im Urteil genannten Kriterien zu finden.

Dieser Überblick dient lediglich der Information und beinhaltet in keiner Weise die Verantwortung des Gerichtshofs.

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