Im Jahr 1903 kaufte Oskar Rom den Bauernhof seines Nachbarn außerhalb von Tønsberg in der norwegischen Provinz Vestfold. Im August desselben Jahres begann er, einen Hügel auf seinem neuen Grundstück auszuheben, und es dauerte nicht lange, bis ihm klar wurde, dass er auf etwas Bedeutendes gestoßen sein könnte. Es schien, als sei er auf die Überreste eines Schiffes gestoßen, aber bevor er weiter vorging, fuhr er 64 Meilen in die Hauptstadt Oslo, um die Hilfe des Archäologen Professor Gustafson vom Universitätsmuseum für Nationale Altertümer in Anspruch zu nehmen.

Gustafson traf kurze Zeit später vor Ort ein und begann mit seinen Untersuchungen. Er brauchte nicht lange, um zu bestätigen, was Rom gefunden hatte, und glaubte, dass sich an der Stelle ein Schiffsgrab aus der Wikingerzeit befand. Gustafson kaufte das Land von Rom für eine beträchtliche Summe, wartete aber wegen des bevorstehenden Herbstwetters bis zum nächsten Sommer, um mit den Ausgrabungen zu beginnen.

Im Jahr 1904 begann Gustafson seine Ausgrabungen unter großem Trara. Um das Gelände herum mussten Zäune und Schilder aufgestellt werden, um die Leute zurückzuhalten und sicherzustellen, dass keine der darunter liegenden antiken Artefakte gestört wurden. In knapp drei Monaten gruben Gustafson und sein Team den Hügel aus und enthüllten der Welt eine der bedeutendsten Entdeckungen der Wikingerzeit in der Geschichte.

Das 17,8 Fuß lange und 16,7 Fuß breite Schiff ist das älteste bekannte Langschiff der Wikinger und das am besten erhaltene, das je entdeckt wurde, und gibt Historikern einen beispiellosen Einblick in das Leben der Wikinger im 9. Obwohl das Schiff mehr als ein Jahrtausend lang unter der Erde lag, schufen der blaue Lehm und der Torf, unter denen es lag, feuchte Bedingungen, die dazu beitrugen, das Holz zu erhalten.

Im Laufe der Jahre wurde die Struktur des Schiffes jedoch durch das Gewicht der Erde und der Steine zerdrückt. Es dauerte 21 Jahre, bis Experten das Grabschiff wieder zusammensetzten, und das rekonstruierte Oseberg-Schiff (das jetzt im Wikingerschiffsmuseum in Oslo ausgestellt ist) besteht zu 90 Prozent aus dem Originalholz.

Das Schiff ist eine Karve, eine kleine Art von Wikinger-Langschiff, das fast vollständig aus Eichenholz besteht und sowohl gesegelt als auch gerudert werden konnte. Mit 15 Paar Ruderlöchern konnten bis zu 30 Männer das Schiff rudern und eine Höchstgeschwindigkeit von etwa 10 Knoten (11,5 mph) erreichen.

Bug und Heck des Schiffes sind reich mit Tier- und Menschenfiguren verziert, und die Bugspitze ist so geschnitzt, dass sie wie ein spiralförmiger Schlangenkopf aussieht. Seit seiner Entdeckung ist das Bild des Oseberg-Langschiffs zum Synonym für die Wikingerzeit geworden, zu einer Ikone für eine der berühmtesten Zivilisationen der Geschichte.

Die fachmännischen Holzarbeiten auf dem kunstvoll verzierten Schiff vermittelten den Historikern eine neue Vorstellung von den handwerklichen Fähigkeiten der Wikinger. Es deutete auch auf den gehobenen Status derjenigen hin, die in seinem hölzernen Rahmen begraben waren, denn ein so feines Schiff konnte nur denjenigen vorbehalten sein, die über Reichtum und Status verfügten.

In der Mitte des Schiffes befand sich ein speziell angefertigtes Holzzelt, das im Inneren fein mit gewebten Wandteppichen verziert war. Die Balken des Zeltes wurden mittels Dendrochronologie auf das Jahr 834 n. Chr. datiert. In dem Zelt wurden die Überreste von zwei Frauen entdeckt, die auf einem Bett aus Bettwäsche lagen. Die Radiokohlenstoffanalyse ihrer Knochen stimmte mit dem durch die Dendrochronologie des Holzes ermittelten Datum überein.

Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass eine der Frauen im Alter von 70-80 Jahren starb, während die andere etwa 50-55 Jahre alt war. Beide waren etwa 1,80 m groß und hatten sich hauptsächlich von Fleisch ernährt – ein Luxus in einer Zeit, in der die meisten Wikinger Fisch aßen. Die Zähne der jüngeren Frau waren in gutem Zustand, und es gibt Hinweise darauf, dass sie einen metallenen Zahnstocher zum Putzen ihrer Zähne benutzt hatte – ein weiterer Luxusartikel im 9. Jahrhundert. Ihre Überreste verraten jedoch nichts darüber, wie sie gestorben ist.

Anders bei der älteren Frau, deren Knochen zeigten, dass sie in ihren letzten Lebensjahren stark unter Osteoporose, einer Knieverletzung und zwei verschmolzenen Halswirbeln gelitten hatte. Ihre Todesursache wurde als Krebs festgestellt. Die Beziehung zwischen den beiden ist immer noch unbekannt, da aufgrund unzureichender DNA-Wiederherstellung nicht bewiesen werden konnte, ob sie miteinander verwandt waren.

Es wurden mehrere Theorien aufgestellt, darunter eine Königin und ihre Tochter, vielleicht sogar Königin Åsa, die legendäre norwegische Königin der Wikingerzeit und Großmutter von Harald Fairhair, dem ersten König von Norwegen. Es ist unklar, ob beide Frauen von hohem Wohlstand und Status waren oder nur eine. Als der arabische Reisende Ahmad ibn Fadlan im 10. Jahrhundert n. Chr. Zeuge eines Wikingerbegräbnisses wurde, schrieb er, dass ein Sklave zusammen mit seinem Herrn geopfert wurde. Könnte es sich bei der jüngeren Frau auf dem Oseberg-Schiff, deren Todesursache unbekannt ist, um eine Sklavin und bei der anderen um ihre Herrin handeln?

So oder so waren eine oder beide Frauen Mitglieder der Wikingeraristokratie und hatten wichtige politische oder religiöse Funktionen innerhalb ihrer Gemeinschaft inne. Diese Entdeckung trug dazu bei, ein neues Licht auf die Rolle der Frauen in der wikingerzeitlichen Gesellschaft zu werfen.

Andere Skelettreste, die auf dem Schiff gefunden wurden, gaben Aufschluss über die Bestattungsriten und den Glauben der Wikinger. Bei den gefundenen Knochen von 15 Pferden, 6 Hunden und 2 Ochsen handelte es sich höchstwahrscheinlich um Opfertiere, die mit den beiden Frauen ins Jenseits geschickt wurden, um sie auf ihrer Reise zu begleiten.

In der Bestattung wurden auch zahlreiche kostbare Gegenstände gefunden – ein wunderschön gestalteter Karren (der einzige bisher gefundene aus der Wikingerzeit), drei verzierte Schlitten, eine Reihe kostbarer Textilien, fünf kunstvoll geschnitzte Tierköpfe, Betten und andere Alltagsgegenstände wie Ackergeräte und Kämme. Ein Eimer, der mit zwei stilisierten, im Lotussitz sitzenden Menschen verziert ist, wurde als „Oseberg-Buddha“ bezeichnet. Der Eimer stammt höchstwahrscheinlich aus Irland und könnte eine Beute darstellen, die von Wikingern bei einem irischen Überfall erbeutet wurde.

Obwohl die entdeckten Grabbeigaben umfangreich waren, handelte es sich wahrscheinlich nur um eine Auswahl dessen, was vergraben war, denn Gustafson stellte bei seinen Ausgrabungen bald fest, dass er nicht der erste war, der das Schiff entdeckte. Höchstwahrscheinlich hatten Grabräuber aus dem Mittelalter den Grabhügel geplündert, und alle wertvollen Metalle wurden höchstwahrscheinlich entfernt.

Auch ohne diese gestohlenen Schätze bleibt das Oseberg-Schiff einer der wichtigsten Funde aus der Wikingerzeit, der Historikern weiterhin einen noch nie dagewesenen Blick in die Vergangenheit ermöglicht.

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